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„Das so genannte Beschäftigungswunder fällt auch in Schweinfurt relativ bescheiden aus!“: Der DGB informierte über die „Entwicklung der atypischen Beschäftigung in Stadt und Land“

SCHWEINFURT – Frank Firsching, DGB-Regionsvorsitzender Schweinfurt- Würzburg, und DGB Regionssekretär Norbert Zirnsak waren die Gesprächspartner am Donnerstagvormittag bei einer Pressekonferenz im Gewerkschaftshaus, bei dem der DGB über die „Entwicklung der atypischen Beschäftigung in Schweinfurt Stadt und Land“ informierte.

Rein quantitativ betrachtet stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 47 711 im Jahr 2003 auf 50 119 im Jahr 2010 um 2408 Arbeitsplätze oder 5%. In Wirtschaftszweige unterteilt entwickelte sich das verarbeitende Gewerbe in diesem Zeitraum um plus 2239 Arbeitsplätze (+ 9,5), der Dienstleistungssektor um plus 194 Stellen, oder plus 0,8%. Der Beschäftigungsaufbau in der Stadt Schweinfurt geht nahezu vollständig auf das Konto des verarbeitenden Gewerbes.

Genauer betrachtet, ergibt sich allerdings ein differenziertes Bild. So hat sich vor allem die Teilzeitbeschäftigung vermehrt. Sie stieg um 2069 Beschäftigungsverhältnisse oder 30,2%. Wurden im Jahr 2003 insgesamt 6844 Teilzeitbeschäftigte gezählt, waren es 2010 schon 8913. Diese Dynamik konnten die Vollzeitstellen nicht entfalten. Sie stiegen um 0,8% oder 343 Jobs auf 41 202 Stellen.

Geschlechterspezifisch teilt sich der Beschäftigungsaufbau in etwa zu gleichen Teilen zwischen Frauen (+ 1297) und Männer (+ 1111) auf. Damit arbeiteten von den 18 037 sozialversicherungspflichtig (svpf.)beschäftigten Frauen im Jahr 2010 insgesamt 10 693       (- 37) oder 59,3% Vollzeit. 7 343 oder 40,7% dagegen Teilzeit. Anderes Bild bei den Männern. Von den 32 082 svpf. Beschäftigten waren 30 509 oder 95,1% in Vollzeit und 4,9% oder 1570 im Jahr 2010 teilzeitbeschäftigt.  Damit werden 82,4% aller Teilzeitjobs von Frauen besetzt (2010).

Während die Vollzeitjobs bei den Männern immerhin um 380 zulegten, gingen sie für die Frauen sogar um 37 zurück. Somit ging das gesamte Beschäftigungsplus bei den Frauen auf das Teilzeitkonto mit plus 1337 Jobs. Verglichen mit den 838 in Teilzeit arbeitenden Männern im Jahr 2003 wurden 2010 schon 1570 gezählt (plus 87,4%)

Die Zahl der in Leiharbeit Beschäftigten stieg im Untersuchungszeitraum von 303 auf 1141 um plus 276,6%! Die höchste Leiharbeitsquote wurde im Vorkrisenjahr 2007 mit 1595 Leiharbeitnehmern erreicht. Damit ist die Aussage belegt, dass die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer die ersten waren, die die Zeche der Krise mit Arbeitslosigkeit bezahlten. Denn die Branche schrumpfte auf 876 im Jahr 2009, was einen Arbeitsplatzverlust von 45% (!) bedeutete. Von den 1141 Leiharbeitnehmern im Jahr 2010 waren 302 Frauen. Das entspricht einem Anteil von 26,5%. Demgegenüber befanden sich 73,5% oder 839 Männer.

Die Leiharbeitsquote in der Region ist unterdurchschnittlich niedrig, weil es Betriebsräten in der Industrie und IG Metall bisher gut gelang, dies zu verhindern. Es gibt aber auch den Trend der Verleiharbeiterisierung im Pflegebereich, wo immer häufiger durch Ausgliederungen eigene Leiharbeiterfirmen, beispielsweise vom Landkreis Schweinfurt, gegründet werden, um Löhne zu drücken.

Die Steigerung der Mini- Jobs übertrifft die der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, um den Faktor vier. Entwickelten sich nämlich die sozialversicherungspflichtigen Jobs um plus 5%, waren es bei den Mini- Jobs plus 19,9%. So zählte die Statistik im Jahr 2010 insgesamt 7436 gemeldete Mini- Jobs innerhalb der Stadt Schweinfurt (plus 1235!). Davon waren 5038 Personen ausschließlich im Mini- Job beschäftigt (plus 95 ggü. 2003). Nebenberuflich dazu verdienten 2398 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das waren 1140, oder satte 90,6% mehr als noch sieben Jahre zuvor. Auch hier sind die Rollen klar verteilt. Im Jahr 2010 standen 5310 Frauen in Mini- Jobs 2126 Männern gegenüber. In beiden Geschlechtern nahm die nebenberufliche Mini- Job- Tätigkeit überproportional zu. Bei der Frauen um plus 710 (88,9%) und bei den Männern um 430 (93,5%).

Als statistische Größe zwar vernachlässigbar, haben Ein- Euro- Jobs für die Betroffenen unmittelbare Bedeutung. Zwar sind viele nach dem Motto „besser das, als gar nichts“ froh, überhaupt eine Beschäftigung zu finden. Jedoch verbessern die Ein- Euro- Jobs die Vermittlungschancen der Betroffenen nicht. Im Jahr 2010 waren 132 Personen in Ein- Euro- Jobs beschäftigt. Die Stadt Schweinfurt rückt Stück für Stück von diesem arbeitsmarktpolitischen Instrument ab und setzt stattdessen auf die Bürgerarbeit (besser bezahlt, länger dauernd).

Entwicklung der atypischen Beschäftigung 2003 – 2010:
Unter atypischer Beschäftigung versteht man grundsätzlich alle Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Normalarbeitsverhältnisses, was ein Vollzeitjob darstellt, aber nicht in Leiharbeit. In diesem Fall also Teilzeitbeschäftigung, Mini- Jobs, Ein- Euro- Jobs und die Leiharbeit. Regionale Daten zur befristeten Beschäftigung, die zur prekären Beschäftigung zählen liegen nicht vor. Bundesweit ist augenblicklich jeder zweite Arbeitsvertrag befristet. Die typische Form der Beschäftigung als Ziel der sozialen Marktwirtschaft ist die unbefristete Vollzeitbeschäftigung, um davon den Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Arbeit wird immer unsicherer, prekärer, atypischer. Lag der Anteil atypischer Beschäftigung gemessen an allen Beschäftigten im Jahr 2003 bei 24,8% oder 13 348, so stieg diese Quote bis zum Jahr 2010 auf 30,3% oder 17 490 Beschäftigungsverhältnisse. Das stellt die bis dahin höchste Quote dar.

Teilzeit: 12,7% auf 15,5%
Leiharbeit: 0,6% auf 2%
Mini- Jobs: 11,5% auf 12,9%

Atypische Beschäftigung ist weiblich. Knapp dreiviertel (74,1% Frauen, 25,9% Männer) aller atypischen Beschäftigungsverhältnisse werden von Frauen besetzt. Im Jahr 2010 erreichten die atypischen Beschäftigungsverhältnisse von Frauen in der Stadt Schweinfurt eine Quote von 55,5% gemessen an allen weiblichen Beschäftigungsverhältnissen. 2003 lag die Quote noch unter 50%, nämlich bei 49,9%. Aber auch die Quote bei den Männern steigerte sich ähnlich, nur auf niedrigerem Niveau. Waren im Jahr 2003 8,5% aller Beschäftigungsverhältnisse atypisch, steigerte sich die Zahl bis 2010 auf 13,3%.

„Schleichende Amerikanisierung unseres Arbeitsmarktes“

„Wer von seiner Arbeit leben will, braucht in der Regel eine Vollzeitbeschäftigung, die zudem anständig bezahlt ist. Unter dieser Prämisse betrachtet, fällt das so genannte Beschäftigungswunder auch in Schweinfurt relativ bescheiden aus, weil atypische und unsichere Beschäftigungsverhältnisse auf dem Vormarsch sind. Wir erleben eine schleichende Amerikanisierung unseres Arbeitsmarktes, die überwiegend Frauen betrifft. Für die Menschen wird es so nicht besser, sondern schlechter“, sagt Frank Firsching.

Im verarbeitenden Gewerbe ist ein leichter Beschäftigungsaufbau zu verzeichnen, von dem vorwiegend Männer profitierten und einige Vollzeitjobs generiert wurden. Der Dienstleistungssektor hingegen tritt in Schweinfurt auf der Stelle. Geschaffen wurden vorwiegend Teilzeit- und Mini- Jobs, die hauptsächlich von Frauen besetzt werden und diese kaum in die Lage versetzen, von ihrer Arbeit Leben zu können.

Die rasante Entwicklung der Mini- Jobs in Verbindung mit der enormen Steigerung der Teilzeitbeschäftigung bestätigt auch in Schweinfurt den Verdacht, dass vermehrt im Dienstleistungssektor Vollzeitstellen in andere Beschäftigungsformen umgewandelt werden. Die Tendenz mehrere Jobs annehmen zu müssen, wird durch die faktische Verdoppelung der Nebenjobtätigkeit bei Frauen und Männern unterstrichen.

„Wir gehen auch davon aus, dass sich wegen den Rentenkürzungsprogrammen immer mehr Rentnerinnen und Rentner um einen Zusatzverdienst bemühen müssen. So lange es eben geht.
Denn klar ist auch. Wenn immer mehr Mini- Jobs und Teilzeitstellen entstehen, wächst damit proportional der Anteil der Menschen, die von Altersarmut betroffen sein werden. Denn der Verdienst in diesen Jobs führt einerseits zu nur geringen Ansprüchen in der gesetzlichen Rente und entfaltet auch keinen Spielraum privat vorzusorgen. Außerdem sind im privaten Dienstleistungssektor Betriebsrenten so gut wie unbekannt“, so Firsching.

„Der so genannte Schweinfurter Strukturwandel ist zumindest arbeitsmarktpolitisch ein Hirngespinst. Die Arbeitsmarktentwicklung belegt eindeutig die Stärke des Industriesektors in der Stadt. Daran hat sich in den letzten Jahren auch nichts geändert“, ergänzt Norbert Zirnsak.

Beide fordern: „Wir wollen gute Arbeit- sicher und fair“. Dazu gehören laut DGB:

Erhöhung der Tarifbindung, auch durch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Betriebliche Mitbestimmung Beim Einsatz von Leiharbeit
Mindestlohn von 8,50 Euro/ Stunde als absolute, gesetzliche Lohnuntergrenze
Abschaffung der 400 Euro- Jobs
Berufsausbildungsoffensive
Befristungen einschränken
Auskömmliche Vollzeitstellen

Die Zahlen des Landkreise Schweinfurt:
Insgesamt bestätigen die Daten des Arbeitsmarktes aus dem Landkreis Schweinfurt die „schleichende Amerikanisierung“. Der einzig hervorstechende Unterschied betrifft die Branchenentwicklung, denn der Beschäftigungsaufbau im Landkreis wurde vollständig durch den Dienstleistungssektor (plus 2031 Jobs) erbracht, während das verarbeitende Gewerbe praktisch unverändert blieb (plus 30). Die Quote der atypischen Beschäftigung stieg von 36,2% auf 39,1%, ohne Leiharbeit.




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